Die bekannteste Form der Wellness in unseren Breitengraden ist noch immer die finnische Sauna – oder das denken wir zumindest. Denn mit «finnisch» haben unsere Saunaeinrichtungen und -bräuche herzlich wenig zu tun, wie mir kürzlich ein finnischer Bekannter augenzwinkernd erklärte. Im Gegenteil: Viele der Saunagewohnheiten, die der mehrere Jahre in Deutschland wohnhafte Finne dort erleben durfte, seien für finnische Verhältnisse eher absurd.
Der seelenlose Aufguss
«Schon allein das Wort Aufguss! Das ist viel zu technisch!» Mit diesem Ausruf beginnt das Gespräch mit meinem finnischen Bekannten über seine Jahre in Deutschland. Am meisten vermisst habe er dort nämlich die echte, finnische Sauna; etwas, das man weder in unserem Nachbarland aus dem Norden noch in der Schweiz finden würde.
Der Unterschied zwischen finnischen Saunas hierzulande und dem Original zeigt sich bereits bei der Wortwahl. Tatsächlich hat «Aufguss» nichts mit dem finnischen «löyly» gemeinsam. Denn löyly ist viel mehr als das Aufgiessen von Wasser auf heissen Stein: löyly bedeutet zugleich auch «Seele», ist also die Seele der Sauna – und hat damit einen viel höheren Stellenwert als der Aufguss in unseren Saunakabinen.
Nur kein Stress
«Was sollen diese Sanduhren an der Wand?» wunderte sich mein finnischer Gesprächspartner beim Saunabesuch in Deutschland. Uhren in einer Sauna würden überhaupt keinen Sinn ergeben. Wer geht in eine Sauna, wenn er währenddessen ständig die Uhr im Blick behält, also gar keine Zeit dafür hat? Niemand würde in Finnland beim Saunieren auf die Uhr schauen – da könnte man es genauso gut bleiben lassen.
Dass die Uhren dazu da sind, die Dauer des Saunaganges unter fünfzehn Minuten zu halten, findet mein Bekannter umso lustiger: «Der Körper weiss schon, was gut für ihn ist. Wenn es zu viel wird, meldet er sich, und sonst kann man die Sauna so lange geniessen, wie man möchte. Dazu braucht man doch keine Uhr.»
Ruhe bitte!
Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland gilt es als unhöflich, sich laut in der Sauna zu unterhalten. Wenn, dann im Flüsterton, am besten aber gar nicht. Mein Gesprächspartner kann darüber nur den Kopf schütteln. Schliesslich ist die Sauna in Finnland ein Ort der Begegnung, an dem soziale Kontakt geknüpft und Neuigkeiten ausgetauscht werden. Es darf also durchaus auch laut und heiter zugehen. «Die Finnen reden sonst schon nicht miteinander» scherzt er, «dann doch wenigstens in der Sauna».
Unerwünschte Saunameister
Hierzulande ist es üblich, dass in öffentlichen Saunas sogenannte Saunameister den Aufguss durchführen. Was als Service für die Kunden gedacht ist, stösst bei meinem Gegenüber auf Unverständnis. «Wozu brauche ich einen Saunameister? Ich kann den Aufguss selbst durchführen – wann ich will und so oft ich will.» In Finnland gibt es stattdessen in allen öffentlichen Saunas einen Aufgusskübel und eine Kelle für die Besucher. So kann jeder selbst entscheiden, wann ein Aufguss nötig ist und wie viel Wasser verwendet wird.
Die richtigen Temperatureinstellungen
Was für den Aufguss gilt, gilt auch für die Temperatur. In Deutschland und in der Schweiz werden die Temperaturen im Normalfall von Mitarbeitenden des Wellness-Betriebes voreingestellt. Änderungen durch Besucher, wie sie in Finnland üblich sind, sind nicht erwünscht. Das sollte auch mein Bekannter bald feststellen. «Die Sauna war viel zu kalt. Sie hatte nur um die 65 Grad, also musste ich sie etwas aufheizen», erinnert er sich an einen Saunabesuch in Deutschland. Dass er ordentlich Holz nachgestapelt und die Kabine in kurzer Zeit auf über 80 Grad gebracht hatte, sei von den anderen Besuchern zwar begrüsst worden, nicht aber vom Personal. «Sie haben mich dann freundlich darauf hingewiesen, dass das nicht meine Aufgabe sei», erzählt er lachend.
Geschmäcker sind verschieden
«Und dann diese Düfte überall. Ich habe immer noch nicht verstanden, warum man das macht», meint mein Gegenüber zu den Aromazusätzen, die hier gerne in den Saunas verwendet werden. Ätherische Öle oder sonstige Duftstoffe hätten in einer Sauna nichts verloren, findet er. In Finnland geniesst man stattdessen den natürlichen Duft des Holzes oder der Birkenzweige, die in den Aufgusssud gelegt werden.
Über die Schwierigkeit, die passende Sauna zu finden
Während seiner Zeit in Deutschland sei es deshalb schwierig gewesen, eine passende Sauna zu finden. Mit ebenfalls finnischen Kollegen hätte er einen Wellness-Betrieb nach dem anderen nach einer tatsächlich finnischen Sauna abgeklappert– mit mässigem Erfolg. «Schlussendlich fühlten wir uns in der Sauna eines Fitnesscenters am wohlsten», erzählt mir mein finnischer Gesprächspartner. «Dort kümmerte sich niemand um die Sauna und es störte sich auch niemand an den lauten finnischen Gästen, die die Kabine nach eigenem Gutdünken aufheizten und den Aufguss ohne Saunameister zelebrierten.»